9. September 2021

Newsletter zur Revision des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG)

Martin BürkleSimon M. Hohler

Auf den 1. Januar 2022 treten die vom Gesetzgeber im Juni 2020 beschlossenen Änderungen des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) in Kraft, mit welchen unter anderem verschiedene Verbesserungen für die Versicherungsnehmer bzw. Versicherten eingeführt und das Gesetz an die heutigen Anforderungen des elektronischen Geschäftsverkehrs angepasst werden.

Nachfolgend werden die wesentlichsten Änderungen, welche für die Versicherungen und die Versicherungsnehmer bzw. Versicherten von erheblicher Relevanz sein dürften, übersichtsartig dargestellt.

1. 14-tägiges Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers (neu Art. 2a und 2b VVG)

Neu kann der Versicherungsnehmer – also die Person, die den Vertrag mit dem Versicherungsunternehmen abschliesst – einen abgeschlossenen Versicherungsvertrag innerhalb einer Bedenkzeit von 14 Tagen widerrufen.

Die Widerrufsfrist beginnt, sobald der Versicherungsnehmer seinen Antrag zum Abschluss des Vertrages oder die Erklärung zu dessen Annahme abgegeben hat. Die Frist ist eingehalten, wenn der Versicherungsnehmer am letzten Tag der Widerrufsfrist seinen Widerruf dem Versicherungsunternehmen mitteilt oder seine Widerrufserklärung der Post übergibt.

Das Versicherungsunternehmen hat die Kundin bzw. den Kunden vor Abschluss des Vertrages über dieses Widerrufsrecht sowie über Form und Frist des Widerrufs zu informieren (neu Art. 3(1)(h) VVG). Verletzt das Versicherungsunternehmen diese Informationspflicht, so ist der Versicherungsnehmer zur Kündigung des Versicherungsvertrages innerhalb von vier Wochen ab Kenntnisnahme der Pflichtverletzung des Versicherungsunternehmens und den vorenthaltenen Informationen, spätestens jedoch zwei Jahre nach der Pflichtverletzung, berechtigt (neu Art. 3a VVG).

2. Kündigungserklärungen können per E-Mail erfolgen (neu Art. 35a VVG)

Versicherungsverträge können nun in jeder Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht, gekündigt werden.

Eine schriftliche Kündigung (mit eigenhändiger Unterschrift) wird vom Gesetz somit nicht verlangt. Die Kündigung kann daher auch per E-Mail erfolgen.

3. Kündigungsrecht bei Verträgen mit Laufzeit von mehr als drei Jahren (neu Art. 35a VVG)

Neu sieht das VVG ein ordentliches Kündigungsrecht für Versicherungsverträge (ausgenommen Lebensversicherungen) auf das Ende des dritten oder jedes darauf folgenden Jahres unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten vor. Dieses ordentliche Kündigungsrecht gilt auch, wenn der Versicherungsvertrag für eine längere Dauer vereinbart wurde.

Aufgrund der besonderen Anordnung in neu Art. 104 VVG ist dieses ordentliche Kündigungsrecht auch bereits auf Verträge anwendbar, die vor dem 1. Januar 2022 abgeschlossen wurden.

4. Kein Kündigungsrecht des Krankenzusatzversicherers im Schadensfall (neu Art. 35a Abs. 4 VVG)

Das VVG legt nun neu auch fest, dass in der Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung (mit Ausnahme der kollektiven Taggeldversicherung) das ordentliche Kündigungsrecht und das Kündigungsrecht im Schadenfall nur dem Versicherungsnehmer zusteht.

Dieses bedeutet insbesondere, dass das Krankenversicherungsunternehmen die Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung nach einem Leistungsbezug nicht aus ebendiesem Grund kündigen darf. Dies entspricht der bereits heutigen Praxis der Versicherungen.

5. Kündigungsmöglichkeit für den Versicherungsnehmer bei Entdeckung einer Mehrfachversicherung (neu Art. 46b VVG)

Wird dasselbe Interesse gegen dieselbe Gefahr und für dieselbe Zeit bei mehr als einem Versicherungsunternehmen versichert, sodass die Versicherungssummen zusammen den Versicherungswert übersteigen, wird von einer Mehrfachversicherung gesprochen.

Das VVG schreibt in neu Art. 46b VVG vor, dass der Versicherungsnehmer verpflichtet ist, einen Fall von Mehrfachversicherung allen Versicherungsunternehmen zur Kenntnis zu bringen.

Ferner sieht das VVG nun vor, dass wenn der Versicherungsnehmer beim Abschluss des später abgeschlossenen Versicherungsvertrages keine Kenntnis vom Entstehen einer Mehrfachversicherung hatte, er diesen Vertrag innert vier Wochen seit der Entdeckung der Mehrfachversicherung kündigen kann.

6. Verjährung tritt neu erst fünf Jahre nach Eintritt des Schadensfalls ein (neu Art. 46 VVG)

Bisher verjährten Ansprüche aus Versicherungsverträgen zwei Jahre nach Eintritt der Tatsache, welche die Leistungspflicht begründet. Diese Verjährungsfrist beträgt neu fünf Jahre.

Weiterhin zwei Jahre beträgt die Verjährungsfrist für Forderungen aus dem Vertrag der kollektiven Krankentaggeld-Versicherung.

Es ist davon auszugehen, dass die neue fünfjährige Verjährungsfrist nur auf Ansprüche aus Verträgen zur Anwendung gelangt, welche nach dem 1. Januar 2022 abgeschlossen wurde. So ergibt sich aus der relevanten Übergangsbestimmung (neu Art. 104 VVG), dass für vor dem 1. Januar 2022 abgeschlossene Verträge nur die neuen Bestimmungen zu den Formvorschriften und die Regelung des Kündigungsrechts gemäss neu Art. 35a und 35b VVG gelten.

7. Direktes Forderungsrecht eines Geschädigten gegen die Haftpflichtversicherung des Schädigers (neu Art. 60 VVG)

In der Haftpflichtversicherung steht dem geschädigten Dritten (oder dessen Rechtsnachfolger) nun ein direktes Forderungsrecht gegenüber dem Versicherungsunternehmen zu. Dies im Rahmen einer allfällig bestehenden Versicherungsdeckung und unter Vorbehalt der Einwendungen und Einreden, die das Versicherungsunternehmen aufgrund des Gesetzes oder des Vertrages dem geschädigten Dritten entgegenhalten kann.

Somit kann der Geschädigte direkt an die Haftpflichtversicherung des Schadensverursachers gelangen und seinen Anspruch geltend machen.

Das VVG wird dann auch in weiteren Bereichen angepasst. So wird etwa die Informationspflichten der Versicherer in neu Art. 3 VVG erweitert, die in der Praxis häufig anzutreffenden vorläufigen Deckungszusagen gesetzlich neu geregelt (vgl. neu Art. 9 VVG) und das Regress des Versicherers ausgedehnt (vgl. neu Art. 95c Abs. 2 VVG).

 


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