1. März 2021

Litigation Newsletter: Bundesgericht entscheidet über das Mass solidarischer zivilrechtlicher Mithaftung des Geldwäschers mit den Tätern der Vortat (BGE 146 IV 211)

Daniel Stoll
1. Solidarische zivilrechtliche Mithaftung des Geldwäschers mit den Tätern der Vortat

Mit Entscheid vom 9. Juli 2020 (Urteil 6B_1202/2019; BGE 146 IV 211) bestätigte das Bundesgericht seine Rechtsprechung, wonach Art. 305bis StGB nicht allein dem Schutz der Rechtspflege dient, sondern auch den Schutz von Eigentum und Vermögen bezweckt. Das Bundesgericht räumt der Geldwäschereibestimmung den entsprechenden Schutznormcharakter ein. Diese Einstufung ist von haftpflichtrechtlicher Bedeutung. Dank des Schutznormcharakters der Bestimmung können Geschädigte dem Geldwäscher widerrechtliches Handeln vorwerfen und Schadenersatzansprüche geltend machen (BGE 144 I 318 E. 5.5). Im Weiteren korrigierte das Bundesgericht die Vorinstanz in ihrer Auffassung, der Geldwäscher hafte lediglich soweit, als der Schaden nicht von den Tätern der Vortat ersetzt werde, also subsidiär. Gemäss dem Bundesgericht haftet der Geldwäscher hingegen mit den Tätern aus der Vortat grundsätzlich solidarisch mit.

Das von unserer Kanzlei vor Bundesgericht vertretene Energieunternehmen hatte als Opfer interner und externer krimineller Kräfte einen Millionenschaden erlitten. Das bundesgerichtliche Urteil bahnte unserer Klientin den Weg, den Treuhänder, der den Deliktserlös über ihm zuzurechnende inaktive Gesellschaften gewaschen hatte, zivilrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.

2. Finanzintermediäre in der Zwickmühle

So erfreulich der Ausgang des Verfahrens vor Bundesgericht für unsere Klientin war, wird diese Freude in Kreisen professioneller Finanzintermediäre (Banken, Vermögensverwalter, Treuhänder etc.) nicht unbedingt geteilt. Finanzintermediäre haben ein branchenspezifisches Risiko, in Strafuntersuchungen wegen Geldwäscherei zu geraten. Dazu genügt die als vorsätzlich qualifizierte mangelhafte Governance bei der Handhabung fremder Mittel. Noch schadenträchtiger sind kriminell handelnde eigene Mitarbeitende. Die Befürchtung von Finanzintermediären, wegen Geldwäscherei vom Opfer der Straftat zur Kasse gebeten zu werden, sind daher nicht von der Hand zu weisen. Während die Vortäter den Deliktserlös oft schnell verprasst haben, weisen Finanzintermediäre typischerweise tiefe Taschen auf. Kein Wunder also, dass sich das Augenmerk Geschädigter auf die Finanzintermediäre richtet, wenn es darum geht, den Verlust zu minimieren. Allein der Umstand, in einem Strafverfahren wegen (möglicher) Geldwäscherei am Pranger zu stehen, kann auf Finanzintermediäre ausreichend Druck auslösen, zivilrechtlich eine Vergleichszahlung zu leisten. Im Gegenzug quittiert der Geschädigte die Vergleichszahlung nicht selten mit einer Desinteresserklärung in der Strafuntersuchung.

Sind die Befürchtungen der Finanzintermediäre, für den Schaden aus dem Delikt ungerechtfertigterweise und überproportional den Kopf hinhalten zu müssen, berechtigt? Die Rechtsprechung jedenfalls stösst nicht auf allseitige Zustimmung (siehe insbesondere: Louis Frédéric Muskens, Entscheidbesprechung – Urteil 6B_1202/2019 vom 9. Juli 2020, in: AJP 2021, S. 130). Die Gemengelage gestaltet sich derzeit wie folgt.

3. Haftungsrisiken der Finanzintermediäre
3.1 Kritik am Schutznormcharakter

Die Kritik setzt bei der Qualifikation von Art. 305bis StGB als Schutznorm des Vermögens ein. Das Bundesgericht begründete grundsätzlich den Schutznormcharakter damit, dass die Geldwäschereibestimmung die Sicherung der Einziehung des Deliktsguts bezwecke. Dabei geniesse die Rückgabe an die Geschädigten gegenüber der Einziehung gesetzlich den Vorrang. Somit erfolge die Einziehung im Interesse der Geschädigten (grundlegend BGE 129 IV 322 ff.).

In der Lehre wird die bundesgerichtliche Logik in Frage gestellt. Einziehung und Rückgabe würden sich gegenseitig ausschliessen. Entweder werde der Deliktserlös zurückgegeben oder eingezogen. Es sei daher widersprüchlich, den Schutznormcharakter von Art. 305bis StGB mit dem Zweck der Einziehung zu begründen (Muskens, S. 130).

Anders als Muskens sieht das Bundesgericht m. E. zu Recht die Einziehung und Rückgabe nicht als zwei sich gegenseitig ausschliessende Szenarien. Die Einziehung erfolgt gemäss dem Bundesgericht im Interesse des Opfers, selbst wo der für eine direkte Zuweisung notwendige Zusammenhang zwischen Straftat und vorhandenem Wert nicht mehr besteht. Aus Sicht des Bundesgerichts soll ganz grundsätzlich sichergestellt werden, dass das deliktisch erlangte Vermögen nicht beim Täter verbleibt (BGE 129 IV 328). Das Bundesgericht sieht daher in der Einziehung und Rückgabe ein Zusammenspiel und nicht ein begriffliches Gegensatzpaar, wobei mit der Rückgabe dem Opfer Vorrang vor dem Staat zukommt (Art. 70 Abs. 1 StGB).

Die aufgezeigten Überlegungen des Bundesgerichts werden m. E. auch von Art. 73 StGB unterstützt. Gemäss dieser Bestimmung spricht das Gericht dem Geschädigten auf sein Verlangen vom Täter bezahlte Geldstrafen, eingezogene Vermögenswerte oder Ersatzforderungen zu. Mit Art. 73 StGB wird verhindert, dass der Staat dem Geschädigten durch Strafen und Massnahmen Vollstreckungssubstrat entzieht (Trechsel/Jean-Richard-dit-Bressel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, Art. 73 N 1a). Auch Art. 73 StGB unterstreicht somit das Prinzip des Zusammenwirkens von Rückgabe und Einziehung.

Gemäss Muskens handelt es sich bei Art. 305bis StGB um ein reines Rechtspflegedelikt. Dies ergebe sich aus der gesetzlichen Einordnung der Bestimmung im 17. Kapitel (Verbrechen und Vergehen gegen die Rechtspflege). Er anerkennt zwar die sprachliche Anlehnung der Bestimmung an jene der Hehlerei (Art. 160 StGB) und dass beide Delikte eine Vortat voraussetzen. Hingegen stellt er das vom Bundesgericht mit Bezug auf Hehlerei und Geldwäscherei angewendete Perpetuierungsunrecht im Falle der Geldwäscherei in Frage. Geldwäscherei setze im Gegensatz zur Hehlerei kein Vermögensdelikt voraus. Geldwäscherei liesse sich auch an Vermögenswerten begehen, die nicht direkt aus einem Vermögensdelikt herrühren. Hinzu käme, dass das Bundesgericht immer wieder echte Konkurrenz zwischen den Delikten annehme, einerseits zwischen Hehlerei und Geldwäscherei und andererseits zwischen der Vortat und Geldwäscherei (Muskens, S. 131).  Es sei widersprüchlich echte Konkurrenz anzunehmen, wenn die Normen den Schutz desselben Rechtsguts bezwecken.

Das Bundesgericht und Teile der Lehre beurteilen demgegenüber Art. 305bis StGB nicht als reines Rechtspflegedelikt. Entsprechend gehen sie von echter Konkurrenz zwischen Vortat und Geldwäscherei resp. zwischen Hehlerei und Geldwäscherei aus. Muskens‘ Kritik setzt bei der systematischen Einordnung von Art. 305bis StGB im Gesetz ein und leitet ihre weiteren Argumente daraus ab. Die formale Einsortierung im Gesetz kann aber nicht der allein massgebende Faktor bilden. Eine solche Betrachtung wäre zu formalistisch. Dabei wird nämlich dem hybriden Charakter der Geldwäschereibestimmung, der sie in die Nähe der Hehlerei bringt, unzureichend Beachtung eingeräumt.

Muskens wendet sich im Weiteren gegen die von Pieth vertretene Auffassung (BSK StGB-Pieth, Vor Art. 305bis N 53), die Rechtspflege sei ein Blankettrechtsgut und schütze die Rechtsgüter der Delikte, um deren Verfolgung es gehe, also die Rechtsgüter der Vortat. Muskens moniert, dass diese Betrachtung den Begriff des Rechtsguts verwische und die Abgrenzung von Konkurrenzierungen sich auflöse (S. 131).

Dieser Einwand hat etwas für sich. Zu bedenken ist freilich, dass der begrifflichen Abgrenzung kein Selbstzweck innewohnt. Auch falsches Zeugnis (Art. 307 StGB) ist gesetzessystematisch unter den Rechtspflegedelikten eingeordnet. Aus der gesetzessystematischen Einordnung den Schluss ziehen zu wollen, eine Haftung für den daran anknüpfenden Schaden sei für alle denkbaren Fälle ausgeschlossen, schiene mir zu rigid und formalistisch. Umso mehr aber muss im Falle der Geldwäscherei, wo die Zuordnung des angestrebten Rechtsschutzes weniger eindeutig ist, die zivilrechtliche Haftung spielen können.

Das sehen das Bundesgericht und wesentliche Teile der Lehre gleich. Nach deren Beurteilung gibt es Bestimmungen, welche mitgeschützte Rechtsgüter aufweisen. Auch für das mitgeschützte Rechtsgut wird der Schutznormcharakter bejaht. Muskens sieht darin einen Widerspruch zur objektiven Widerrechtlichkeitstheorie. Er verweist auch auf Unterschiede in der Geschädigtenstellung gemäss Art. 115 ff. StPO zum Begriff des Geschädigten nach Haftpflichtrecht (S. 132).

M. E. führen diese Überlegungen nicht dazu, die bundesgerichtliche Beurteilung von Art. 305bis StGB als Bestimmung mit Schutznormcharakter ernsthaft ins Wanken zu bringen. Einzelne Gesetzesbestimmungen lassen sich in ihrer Zwecksetzung wegen ihrer hybriden Ausgestaltung einfach nicht eindeutig verorten. Zu ihnen zählt die Geldwäschereibestimmung. Das Bundesgericht hat mit dem Begriff des mitgeschützten Rechtsguts und dessen Qualifikation als Schutznorm eine insgesamt praxistaugliche Antwort parat. Hinsichtlich der Unterschiede in der strafprozessualen und haftpflichtrechtlichen Geschädigtenstellung ist zu beachten, dass mit der Zulassung des Geschädigten im Strafverfahren über die haftpflichtrechtliche Widerrechtlichkeit nicht entschieden ist. Es lassen sich daraus daher m. E. keine Rückschlüsse zum Schutznormcharakter einzelner StGB-Bestimmungen ziehen.

Die Begründung des Bundesgerichts zum Schutznormcharakter von Art. 305bis StGB erweist sich auch vor dem Hintergrund der in der Lehre erhobenen Einwände als robust. Mit dem die bisherige Rechtsprechung bestätigenden Entscheid ist der Schutznormcharakter von Art. 305bis StGB tiefer verankert. Daran wird sich vermutlich so schnell kaum etwas ändern.

3.2 Umfang der Schadenersatzpflicht des Geldwäschers

Gemäss dem Bundesgericht erstreckt sich die Haftung des Geldwäschers „auch auf den durch die Vortat verursachten Schaden im Umfang der Vermögenswerte deren Einziehung durch die Geldwäscherei vereitelt worden ist“ (E. 4.2.4). Das Bundesgericht gab keine Handlungsanleitung zur Umsetzung dieser Formel mit.

Gemäss Muskens (S. 133) verträgt sich die solidarische Mithaftung des Geldwäschers für seinen Anteil an der Vortat weder mit Art. 50 Abs. 3 OR noch dem Kausalitätsprinzip. Als Anschlusstäter könne der Geldwäscher den bereits eingetretenen Schaden nicht mehr kausal mitverursachen. Art. 50 Abs. 3 OR beschränke die Haftung auf den Schaden, den der Begünstiger durch sein Handeln mitverursacht habe.

Die vom Bundesgericht geprägte Formel ist meines Erachtens allerdings passgenau zu Art. 50 Abs. 3 OR. Gemäss Art. 50 Abs. 3 OR wird der Begünstiger für den durch seine Beteiligung verursachten Schaden ersatzpflichtig. Der Begriff „Beteiligung“ richtet den Blick auf den Anteil, den der Begünstiger am Gesamtschaden hat. Die vom Bundesgericht dazu geprägte Formel „durch die Vortat verursachten Schaden, im Umfang der Vermögenswerte deren Einziehung durch die Geldwäscherei vereitelt worden ist“ schärft die Gesetzesdefinition im Hinblick auf die konkrete Berechnung des Schadens. Die gesetzliche und bundesgerichtliche Sicht auf den Anteil am Gesamtschaden – durch Vereitelung der Einziehung – erfordert selbstverständlich die Prüfung der Frage, welche Handlungen als adäquat kausal zu betrachten sind und welche nicht. Die Aussage, der Geldwäscher komme zu spät, um den Schaden aus der Vortat mitverschuldet zu haben und deshalb fehle die Kausalität (Muskens, S. 134), ist weder im Gesetz reflektiert, noch passt sie in dieser allgemeinen Form zu den realen Gegebenheiten von deliktischem Handeln.

Die Interaktion zwischen Vortätern und Geldwäscher manifestiert sich auf vielfältige Weise. In einzelnen Fällen ist der Geldwäschern konzeptionell am deliktischen Konstrukt involviert oder hat zumindest Kenntnis davon. In anderen Fällen mangelt es ihm an jeglichem Mitwirken oder nur schon Vorwissen über die Vortat. Er nimmt jedoch bei seinen Handlungen die Geldwäscherei in Kauf. Im zweiten Fall wird der Geldwäscher nach der bundesgerichtlichen Formel kaum je für den gesamten Schaden haftbar gemacht werden können. Wo hingegen der Geldwäscher konzeptionell am Geschehen mitdachte oder gar mitwirkte, weitet sich der Raum für Ersatzansprüche aus der Vereitelung der Einziehung des deliktisch erlangten Vermögens, selbst wenn die Gehilfenschaft an der Vortat – wie vorliegend – verneint wurde. Im vorliegend besprochenen Fall hatte die Vorinstanz festgehalten, dass „die drei Beteiligten einverständlich geplant und agiert“ hatten. Der Geldwäscher hatte inaktive Gesellschaften, deren einziger Verwaltungsrat er war, zur Verfügung gestellt und den Deliktserlös über deren Konten geschleust. Aufgrund solcher Handlungen kann der Umfang der Vermögenswerte, deren Einziehung vereitelt wird, schon einmal umfangreich werden.

Die vom Bundesgericht geprägte Formel ermöglicht es verständlicherweise nicht, in jedem Fall den Schaden einfach und klar zu umreissen. Aber die Konturen lassen sich ablesen

3.3 Adhäsionsklage

Der Entscheid behandelt nebst der Frage des Schutznormcharakters von Art. 305bis StGB und der Bestimmung des Schadens auch Aspekte der Adhäsionsklage.

Die Vorinstanz hatte den Geldwäscher schuldig gesprochen. Die Geschädigte hatte die Zivilklage hinreichend begründet und beziffert. In dieser Konstellation muss die kantonale Instanz zwingend über die Zivilklage entscheiden (Art. 126 Abs. lit. a StPO).  Wurden allfällige Beweisanträge rechtzeitig gestellt, ist nötigenfalls ein Beweisverfahren durchzuführen (E. 3.1.).

Seit Inkrafttreten der schweizerischen Strafprozessordnung haben Geschädigte grundsätzlich ein wirksames Instrument zur Geltendmachung von Zivilansprüchen im Strafverfahren zur Hand. Adhäsionsklagen müssen von den kantonalen Instanzen bei konsequenter Prozessführung der Geschädigten behandelt und entschieden werden. Geschädigte haben daraus in der Regel einen Zeit- und Effizienzgewinn. Dauer, Aufwand und Komplexität der Verfahren bleiben zumeist dennoch erheblich.

4. Fazit

Das Bundesgericht erhärtet seine frühere Rechtsprechung, dass Art. 305bis StGB einen über die Rechtspflege hinausgehenden Schutzzweck hat. Ein Abrücken von diesem Konzept ist nicht zu erwarten. Die primär auf Gesetzessystematik und Dogmatik abgestützte Kritik erscheint teilweise als formalistisch und würde in der Praxis kaum zu befriedigenderen Ergebnissen führen.

Auch wenn mit der Bejahung des Schutznormcharakters die Grundlage für Schadenersatzforderungen gegen fehlbare Finanzintermediäre gelegt ist, brauchen sie nicht zu befürchten, als ‚lender of the last resort‘ umfassend zur Ader gelassen zu werden.  Ihre Mithaftung erstreckt sich auf Vermögenswerte, deren Einziehung durch die Geldwäscherei vereitelt wurde. Die Höhe des Schadens wird im Einzelfall festzustellen sein. Da die Rechtsprechung zur Bestimmung des Schadens aus der Mithaftung lediglich die Konturen vorgibt, besteht erheblicher Ermessensspielraum. Diese Konstellation wird in der Regel zu anspruchsvollen Diskussionen und prozessualen Auseinandersetzungen unter den involvierten Parteien führen.

Führen Geschädigte den Adhäsionsprozess nach den Regeln der Kunst, kommen die Gerichte nicht darum herum, nebst dem Strafpunkt auch über die Zivilklage zu entscheiden.

 

 


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