1. November 2020

«Das Testament»

Sandra Spirig

Schon mehr als ein Jahr lang streiten sich Maja, Luisa und Jana über eine schöne Ferienwohnung im Engadin, die ihnen ihr Vater nach seinem Ableben hinterlassen hat. Der Vater hat es verpasst, diese Frage testamentarisch zu re­geln. Die Interessen sind unterschiedlich: Maja möchte die Ferienwohnung in der Erb­teilung übernehmen, die beiden Schwestern sind am «best price» interessiert. Wer ihnen diesen zahlt, ob die Schwester oder ein Drit­ter, ist ihnen egal. Maja empfindet die Strate­gie der Gewinnmaximierung als pietätslos. Aus ihrer Sicht sollten sich die Schwestern freuen, wenn die Wohnung in der Familie bleibt und ihr beim Anrechnungswert entge­genkommen. Wie sieht die Rechtslage aus? Wer erhält die Ferienwohnung?.

Hat ein Erblasser es unterlassen, Tei­lungsvorschriften zu erstellen, müssen sich die Erben einigen, wer welchen Nachlassge­genstand übernimmt. Meist ist nicht das «wer» das Problem, sondern der Anrech­nungswert. Und bei dieser Frage gilt das Verkehrswertprinzip, und zwar zum Zeit­punkt der Teilung. Maja kann deshalb nicht erwarten, dass ihr die Geschwister die Woh­nung zu einem Freundschaftspreis überlas­sen. Wer bestimmt den Verkehrswert? In der Praxis werden Schätzungsgutachten bei professionellen Liegenschaftsschätzern ein­geholt. Indes können die Schätzungswerte zum gleichen Objekt variieren. Es gibt kaum einen Fall, in welchem zwei Gutach­ter für das gleiche Objekt den gleichen Verkehrswert berechnen. So liegen auch in Majas Fall bereits drei private, für einiges Geld in Auftrag gegebene Schätzungsgut­achten mit unterschiedlichen Werten vor. Auf einen «fairen» Übernahmewert konn­ten sich die Geschwister trotzdem noch nicht einigen.

Was hätte ein Testament gebracht?

Ein Testament des Vaters mit klaren Zutei­lungsregeln hätte den Kindern die Auseinan­dersetzung erspart. Hätte sich der Vater zu Lebzeiten bei seinen Kindern umgehört, wer die Wohnung später übernehmen möchte,

hätte er diese Frage inklusive Anrechnungs­preis testamentarisch regeln können. Er hät­te seine drei Kinder zu gleichen Teilen als Er­ben einsetzen und Maja die Ferienwohnung auf Anrechnung an ihren Erbteil zuweisen können. Auch zum Anrechnungswert hätte er sich äussern können. Weil er kein Kind wertmässig bevorzugen will, hätte er das Fe­rienhaus zum Verkehrswert zuweisen und gleichzeitig bestimmen können, bei wem eine Verkehrswertschätzung einzuholen ist, wel­che dann verbindlich ist (z. B. bei der Bünd­ner Kantonalbank). Damit hätte sich der lan­ge, belastende Streit um die Ferienwohnung vermeiden lassen können.

Wie errichte ich ein Testament ?

Ein Testament lässt sich einfach errichten. Der Gang zum Notar ist nicht zwingend, das Gesetz lässt auch handschriftliche Testamen­te zu. Diese werden von Hand geschrieben und am Schluss datiert und unterzeichnet. Ein Testament lässt sich einfach wieder ab­ändern, ergänzen und widerrufen. Es kann mit einem einfachen handschriftlichen Nach­trag ergänzt oder geändert werden. Ein Wi­derruf ist durch physisches Vernichten des Original-Testaments (Zerreissen, Verbren­nen) oder mit einer Widerrufserklärung in einem neuen Testament möglich.

Wer nicht die Zeit und Musse oder kei­ne schöne Handschrift hat, seinen letzten Willen handschriftlich niederzuschreiben, kann bei einem Notar eine öffentliche Ur­kunde erstellen lassen.

Und das Ende der Geschichte …

Maja konnte sich schliesslich mit ihren Schwestern einigen: Sie offerierte die Über­nahme der Ferienwohnung zum höchsten Schätzwert der eingeholten Verkehrswert­schätzungen, bat aber – mit Erfolg – um Ab­zug der Maklergebühr und der latenten Grundstückgewinnsteuer, die ihre Geschwis­ter bei einem Verkauf am Markt hätten ent­richten müssen. So konnten die Geschwister einen gerichtlichen Erbteilungsprozess ver­meiden, der für alle Parteien teuer ausgefallen wäre und die Geschwisterbeziehung vielleicht irreversibel belastet hätte.

 

Sandra Spirig ist Rechtsanwältin und Partnerin bei Thouvenin Rechtsanwälte KLG, Zürich, www.thouvenin.com . Sie berät ihre Klientschaft bei der Planung des Nachlasses und unterstützt diese bei erbrechtlichen Auseinandersetzungen, nötigenfalls auch vor Gericht.

 

Hinweis: Dieser Artikel wurde in der November-Ausgabe 2020 der Zeitschrift „Das Ideale Heim“ publiziert.

 

2020-11-Ausgabe-Nr.-11-November-2020-Sandra-Spirig.pdf (pdf 91 kB)