«Der Erbvertrag»
Die verwitwete Mutter war zwar betagt, aber eigentlich bei erfreulich guter Gesundheit. Umso mehr waren der Sohn und die Tochter tief betroffen, als ihre Mutter plötzlich bettlägerig wurde und innerhalb kurzer Zeit verstarb. Die Geschwister fanden jedoch eine gewisse Erleichterung im Umstand, dass ihre Mutter mit ihnen bereits zu Lebzeiten einen Erbvertrag abgeschlossen hatte. Auf diese Weise konnten wichtige Weichen für eine konfliktarme Erbteilung gestellt werden. Die Erblasserin hinterliess hauptsächlich ein unbelastetes Einfamilienhaus an privilegierter Lage sowie ein Mehrfamilienhaus mit einer geringen Hypothekarbelastung, jedoch einem gewissen Investitionsbedarf.
Konfliktpotential vermeiden
Im Rahmen der Ausarbeitung des Erbvertrags hatten sich die Parteien in vertrauensvollen, offenen Diskussionen darauf geeinigt und sich gegenseitig verpflichtet, dass der Sohn das Mehrfamilienhaus – unter gleichzeitiger Übernahme der darauf lastenden Hypothekarschuld – und die Tochter das Einfamilienhaus übernehmen sollten, sofern ihre jeweilige finanzielle Situation dies zuliess. Die Parteien hatten sich weiter bezüglich der Festsetzung des Anrechnungswerts im Erbvertrag darauf geeinigt, dass ein unabhängiger Willensvollstrecker im Rahmen der Erbteilung zwei anerkannte und professionelle Liegenschaftsschätzer zu bestimmen und von diesen unabhängige Verkehrswertschätzungen einzuholen hatte. Der Durchschnitt dieser beiden Schätzungen war sodann als verbindlicher Anrechnungswert in der Erbteilung zu berücksichtigen und der Immobilienbesitz aufgrund dieser Werte zu teilen. Ohne erbvertragliche Abmachungen hätte dieser Immobilienbesitz beträchtliches Konfliktpotenzial aufgewiesen. Unter anderem hätte keines der Kinder ein Vorrecht auf eine der Immobilien geltend machen können. Auch die Festsetzung der Anrechnungswerte hätte zu endlosen Streitereien führen können. Schlimmstenfalls hätte der gesamte Immobilienbesitz zu schlechten Konditionen «verscherbelt» werden müssen.
Charakter des Erbvertrags
Der Erbvertrag ist ein Vertragswerk, mit dem Erblasser und zukünftige Erben gemeinsam bindende Vereinbarungen für die zukünftige Erbteilung treffen können. Im Rahmen des Gesetzes geniessen die Parteien einen weiten Spielraum bezüglich der zu treffenden Vereinbarungen. Grundsätzlich bleiben zukünftige Erblasser zu Lebzeiten frei, nach wie vor über ihr Vermögen zu verfügen. Der Erbvertrag ist kostenpflichtig von einer Urkundsperson, unter Beizug von zwei Zeugen, öffentlich zu beurkunden. Wie es der Name sagt, ist der Erbvertrag, im Gegensatz zum Testament, gegenseitig bindend und kann nur von allen Vertragsparteien gemeinsam abgeändert oder wieder aufgehoben werden.
Bedeutung in der Praxis
Erbverträge werden in der Praxis häufig abgeschlossen. Sie stellen ein taugliches Mittel dar, um zukünftiges Konfliktpotenzial unter den Erben zu minimieren und klare Verhältnisse für eine spätere Erbteilung zu schaffen. Vorzugsweise sollten alle zukünftigen potenziellen Erben ins Vertragswerk miteingebunden werden. Man kann sagen: Werden erbvertragliche Abmachungen getroffen, solange unter den Parteien Sonnenschein herrscht, kann häufig späteres Regenwetter vermieden werden.
Pius Bumann ist Rechtsanwalt und Partner bei Thouvenin Rechtsanwälte KLG, Zürich, www.thouvenin.com . Er berät seine Klientschaft bei der Planung des Nachlasses, unterstützt diese bei erbrechtlichen Auseinandersetzungen, nötigenfalls auch vor Gericht und amtet als Willensvollstrecker.
Hinweis: Dieser Artikel wurde in der Dezember/Januar-Ausgabe 2021 der Zeitschrift „Das Ideale Heim“ publiziert.
2020-12-Ausgabe-Nr.-12-1-Dezember-Januar-2021-Pius-Bumann.pdf (pdf 180 kB)