7. Dezember 2020

«Der Erbvertrag»

Pius Bumann

Die verwitwete Mutter war zwar betagt, aber ei­gentlich bei erfreulich guter Gesundheit. Umso mehr waren der Sohn und die Tochter tief be­troffen, als ihre Mutter plötzlich bettlägerig wurde und innerhalb kurzer Zeit verstarb. Die Geschwister fanden jedoch eine gewis­se Erleichterung im Umstand, dass ihre Mutter mit ihnen bereits zu Lebzeiten einen Erbvertrag abgeschlossen hatte. Auf diese Weise konnten wichtige Weichen für eine konfliktarme Erbteilung gestellt werden. Die Erblasserin hinterliess hauptsächlich ein unbelastetes Einfamilienhaus an privilegier­ter Lage sowie ein Mehrfamilienhaus mit ei­ner geringen Hypothekarbelastung, jedoch einem gewissen Investitionsbedarf.

Konfliktpotential vermeiden

Im Rahmen der Ausarbeitung des Erbver­trags hatten sich die Parteien in vertrauens­vollen, offenen Diskussionen darauf geeinigt und sich gegenseitig verpflichtet, dass der Sohn das Mehrfamilienhaus – unter gleich­zeitiger Übernahme der darauf lastenden Hypothekarschuld – und die Tochter das Einfamilienhaus übernehmen sollten, sofern ihre jeweilige finanzielle Situation dies zu­liess. Die Parteien hatten sich weiter bezüg­lich der Festsetzung des Anrechnungswerts im Erbvertrag darauf geeinigt, dass ein un­abhängiger Willensvollstrecker im Rahmen der Erbteilung zwei anerkannte und profes­sionelle Liegenschaftsschätzer zu bestimmen und von diesen unabhängige Verkehrswert­schätzungen einzuholen hatte. Der Durch­schnitt dieser beiden Schätzungen war so­dann als verbindlicher Anrechnungswert in der Erbteilung zu berücksichtigen und der Immobilienbesitz aufgrund dieser Werte zu teilen. Ohne erbvertragliche Abmachungen hätte dieser Immobilienbesitz beträchtliches Konfliktpotenzial aufgewiesen. Unter ande­rem hätte keines der Kinder ein Vorrecht auf eine der Immobilien geltend machen können. Auch die Festsetzung der Anrechnungswer­te hätte zu endlosen Streitereien führen kön­nen. Schlimmstenfalls hätte der gesamte Im­mobilienbesitz zu schlechten Konditionen «verscherbelt» werden müssen.

Charakter des Erbvertrags

Der Erbvertrag ist ein Vertragswerk, mit dem Erblasser und zukünftige Erben ge­meinsam bindende Vereinbarungen für die zukünftige Erbteilung treffen können. Im Rahmen des Gesetzes geniessen die Partei­en einen weiten Spielraum bezüglich der zu treffenden Vereinbarungen. Grundsätzlich bleiben zukünftige Erblasser zu Lebzeiten frei, nach wie vor über ihr Vermögen zu ver­fügen. Der Erbvertrag ist kostenpflichtig von einer Urkundsperson, unter Beizug von zwei Zeugen, öffentlich zu beurkunden. Wie es der Name sagt, ist der Erbvertrag, im Gegensatz zum Testament, gegenseitig bin­dend und kann nur von allen Vertragspar­teien gemeinsam abgeändert oder wieder aufgehoben werden.

Bedeutung in der Praxis

Erbverträge werden in der Praxis häufig ab­geschlossen. Sie stellen ein taugliches Mittel dar, um zukünftiges Konfliktpotenzial unter den Erben zu minimieren und klare Verhält­nisse für eine spätere Erbteilung zu schaffen. Vorzugsweise sollten alle zukünftigen poten­ziellen Erben ins Vertragswerk miteingebunden werden. Man kann sagen: Werden erbvertragliche Abmachungen getroffen, so­lange unter den Parteien Sonnenschein herrscht, kann häufig späteres Regenwetter vermieden werden.

 

Pius Bumann ist Rechtsanwalt und Partner bei Thouvenin Rechtsanwälte KLG, Zürich, www.thouvenin.com . Er berät seine Klientschaft bei der Planung des Nachlasses, unterstützt diese bei erbrechtlichen Auseinandersetzungen, nötigenfalls auch vor Gericht und amtet als Willensvollstrecker.

 

Hinweis: Dieser Artikel wurde in der Dezember/Januar-Ausgabe 2021 der Zeitschrift „Das Ideale Heim“ publiziert.

 

2020-12-Ausgabe-Nr.-12-1-Dezember-Januar-2021-Pius-Bumann.pdf (pdf 180 kB)