Unternehmensnachfolge – In den Massanzug hineinwachsen
Für den Entrepreneur eines KMU (Personengesellschaft oder juristische Person), stellt sich früher oder später die Frage, wer die Nachfolge des Unternehmers antritt. «Mit 66 Jahren» ist in den meisten Fällen (zu) spät. Das Alter um 55 wird als idealer Zeitpunkt genannt, um den Prozess zu lancieren. Bei der familieninternen Nachfolge ist ein anderer Fahrplan zu verfolgen als bei einer familienexternen Lösung. Ganz gleich, ob «nur» auf der Führungs- oder auch der Eigentümerebene Änderungen bevorstehen.
Anders ist es beim Mehrfamilienhaus. Dort geht es nicht nur um Ihre eigenen Daten, sondern auch um die Ihrer Mitbewohnerinnen und -bewohner. Das kann schnell heikel werden. Denn die Kamera am Hauseingang sollte zwar bloss Vandalenakten und Einbrüchen vorbeugen, aber sie filmt nun auch Frau Egli, die eine Einkaufstasche einer teuren Boutique heimbringt, und Herrn Wolf, der spätabends mit weiblicher Begleitung nach Hause zurückkehrt. Der Wasserzähler, der alle 30 Sekunden die Verbrauchsdaten übermittelt, erlaubt Rückschlüsse darauf, dass Frau Egli badet und Herr Wolf duscht und zu welchen Zeiten dies geschieht. Aus solchen Daten lässt sich schon ein ziemlich aussagekräftiges Profil der beiden erstellen.
Die folgenden Grundsätze gilt es deshalb zu beachten, wenn Sie Ihr Mehrfamilienhaus smart machen wollen:
SIA-Leistungsmodell nur ein Startpunkt
Die erfolgreiche Architektin, die das von ihr vor 20 Jahren gegründete Unternehmen mit heute 25 Mitarbeitenden an ihren mitarbeitenden 30-jährigen Sohn (Architekt) weitergeben und ihre 35-jährige Tochter (Zahnärztin) gleich behandeln will, hat ein Grossprojekt vor sich. Eine Aufgabe, mit der sie eigentlich bestens vertraut sein sollte. Doch sie stellt eine der schwierigeren beruflichen Prüfungen dar. Die verantwortungsbewusste Architektin macht einiges richtig, wenn sie die Übergabe anhand der ihr bekannten Phasen des SIA-Leistungsmodells plant: Strategische Planung, Vorstudien, Projektierung, Ausschreibung, Realisierung und Bewirtschaftung.
Was die Unternehmerin im beruflichen Alltag aus dem Effeff beherrscht, gilt es auf gänzlich unbekanntem Terrain anzuwenden. Und in anderen Disziplinen, in und mit (fast) beliebigen Gestaltungsmöglichkeiten bzw. Rechtskleidern. Eine gelungene Nachfolge ist indes weit mehr als ein Abwickeln von technischen Themen wie Übernahmevertrag zwischen Mutter und Sohn, Testament der Architektin, Pflichtteilsverzichte der Tochter und des Ehemanns oder Steueroptimierung und Finanzierung. In der Praxis entpuppen sich das rechtzeitige Loslassen, das Zurückweichen ins zweite Glied und das Entbehrlichmachen als die eigentlichen Herausforderungen. Spiegelbildlich sollte der noch unentschlossene Sohn sich früh im Klaren werden, was er will und kann und vor allem was er darf. Er soll das Unternehmen früher oder später zu seinem eigenen Betrieb machen. Eine Nachfolge, in welcher der Sohn die Rolle und das Tätigkeitsfeld gleich wie die Mutter fortsetzen soll, wird kaum nachhaltig gelingen.
Erwartungen nicht betonieren
Jeder (planbare) Nachfolgeprozess braucht Zeit und Geduld. Wer initial (vermeintlich) sorgfältig Mass genommen und beim Finanzberater, Treuhänder oder Anwalt einen entsprechenden Massanzug in Auftrag gegeben hat, tut gut daran, in einem Prozess über mehrere Jahre (nicht Monate!) konstant zu überprüfen, ob es und was noch passt. Wer die Übergabe langsam angeht, wird besser loslassen können, und wer übernimmt, kann geführt in die neue Aufgabe gedeihen. Betonierte Erwartungen dürfen kein Kompass sein, zusammen entwickelte Ideen sind dem Ganzen förderlich. Gefragt ist eine schonungslose, ehrliche Offenheit aller Involvierten, sich dem Thema Nachfolge zu stellen und Schwierigkeiten – solche tauchen auf! – gemeinsam anzugehen. Idealerweise wird der Prozess von einem externen Beratenden eng begleitet. Neben der eigenen Kernkompetenz (Finanzen, Steuern oder Recht) sollte der beigezogene Experte auch persönlich-familiäre Fragestellungen nicht scheuen. So wachsen die Beteiligten förmlich zusammen in den (laufend anzupassenden) Massanzug.
Die Unternehmensübergabe ist ein Thema, das zu Unrecht als Aufgabe der älteren Generation abgestempelt wird. Was im Beruf wegen Pensionierung tatsächlich unausweichlich wird, kann schon morgen völlig überraschend Realität sein. Der Zwang, das mit viel Engagement und Herzblut aufgebaute Unternehmen übertragen zu müssen, kann jeden treffen. Hierfür gibt es alle erdenklichen Gründe wie finanzielle Engpässe oder ein anderer Schicksalsschlag. Der «Notfallplan» für die unerwartete Übergabe sollte ebenfalls stehen.
Thomas Loher, lic.iur, LL.M. ist Rechtsanwalt/Partner bei Thouvenin Rechtsanwälte KLG, Zürich, www.thouvenin.com . Sein Beratungsschwerpunkt liegt in der Nachfolgeplaung von Entrepreneurs.
Hinweis: Dieser Artikel wurde in der Februar-Ausgabe 2022 der Zeitschrift „Das Ideale Heim“ publiziert.
2022-02-Ausgabe-Nr.-2-Das-Ideale-Heim_Tom-Loher_In-den-Massanzug-hineinwachsen.pdf (pdf 94 kB)