«Testament»
Schon mehr als ein Jahr lang streiten sich Maja, Luisa und Jana über eine schöne Ferienwohnung im Engadin, die ihnen ihr Vater nach seinem Ableben hinterlassen hat. Der Vater hat es verpasst, diese Frage testamentarisch zu regeln. Die Interessen sind unterschiedlich: Maja möchte die Ferienwohnung in der Erbteilung übernehmen, die beiden Schwestern sind am «best price» interessiert. Wer ihnen diesen zahlt, ob die Schwester oder ein Dritter, ist ihnen egal. Maja empfindet die Strategie der Gewinnmaximierung als pietätslos. Aus ihrer Sicht sollten sich die Schwestern freuen, wenn die Wohnung in der Familie bleibt und ihr beim Anrechnungswert entgegenkommen. Wie sieht die Rechtslage aus? Wer erhält die Ferienwohnung?.
Hat ein Erblasser es unterlassen, Teilungsvorschriften zu erstellen, müssen sich die Erben einigen, wer welchen Nachlassgegenstand übernimmt. Meist ist nicht das «wer» das Problem, sondern der Anrechnungswert. Und bei dieser Frage gilt das Verkehrswertprinzip, und zwar zum Zeitpunkt der Teilung. Maja kann deshalb nicht erwarten, dass ihr die Geschwister die Wohnung zu einem Freundschaftspreis überlassen. Wer bestimmt den Verkehrswert? In der Praxis werden Schätzungsgutachten bei professionellen Liegenschaftsschätzern eingeholt. Indes können die Schätzungswerte zum gleichen Objekt variieren. Es gibt kaum einen Fall, in welchem zwei Gutachter für das gleiche Objekt den gleichen Verkehrswert berechnen. So liegen auch in Majas Fall bereits drei private, für einiges Geld in Auftrag gegebene Schätzungsgutachten mit unterschiedlichen Werten vor. Auf einen «fairen» Übernahmewert konnten sich die Geschwister trotzdem noch nicht einigen.
Was hätte ein Testament gebracht?
Ein Testament des Vaters mit klaren Zuteilungsregeln hätte den Kindern die Auseinandersetzung erspart. Hätte sich der Vater zu Lebzeiten bei seinen Kindern umgehört, wer die Wohnung später übernehmen möchte,
hätte er diese Frage inklusive Anrechnungspreis testamentarisch regeln können. Er hätte seine drei Kinder zu gleichen Teilen als Erben einsetzen und Maja die Ferienwohnung auf Anrechnung an ihren Erbteil zuweisen können. Auch zum Anrechnungswert hätte er sich äussern können. Weil er kein Kind wertmässig bevorzugen will, hätte er das Ferienhaus zum Verkehrswert zuweisen und gleichzeitig bestimmen können, bei wem eine Verkehrswertschätzung einzuholen ist, welche dann verbindlich ist (z. B. bei der Bündner Kantonalbank). Damit hätte sich der lange, belastende Streit um die Ferienwohnung vermeiden lassen können.
Wie errichte ich ein Testament ?
Ein Testament lässt sich einfach errichten. Der Gang zum Notar ist nicht zwingend, das Gesetz lässt auch handschriftliche Testamente zu. Diese werden von Hand geschrieben und am Schluss datiert und unterzeichnet. Ein Testament lässt sich einfach wieder abändern, ergänzen und widerrufen. Es kann mit einem einfachen handschriftlichen Nachtrag ergänzt oder geändert werden. Ein Widerruf ist durch physisches Vernichten des Original-Testaments (Zerreissen, Verbrennen) oder mit einer Widerrufserklärung in einem neuen Testament möglich.
Wer nicht die Zeit und Musse oder keine schöne Handschrift hat, seinen letzten Willen handschriftlich niederzuschreiben, kann bei einem Notar eine öffentliche Urkunde erstellen lassen.
Und das Ende der Geschichte …
Maja konnte sich schliesslich mit ihren Schwestern einigen: Sie offerierte die Übernahme der Ferienwohnung zum höchsten Schätzwert der eingeholten Verkehrswertschätzungen, bat aber – mit Erfolg – um Abzug der Maklergebühr und der latenten Grundstückgewinnsteuer, die ihre Geschwister bei einem Verkauf am Markt hätten entrichten müssen. So konnten die Geschwister einen gerichtlichen Erbteilungsprozess vermeiden, der für alle Parteien teuer ausgefallen wäre und die Geschwisterbeziehung vielleicht irreversibel belastet hätte.
Sandra Spirig ist Rechtsanwältin und Partnerin bei Thouvenin Rechtsanwälte KLG, Zürich, www.thouvenin.com . Sie berät ihre Klientschaft bei der Planung des Nachlasses und unterstützt diese bei erbrechtlichen Auseinandersetzungen, nötigenfalls auch vor Gericht.
Hinweis: Dieser Artikel wurde in der November-Ausgabe 2020 der Zeitschrift “Das Ideale Heim” publiziert.
2020-11-Ausgabe-Nr.-11-November-2020-Sandra-Spirig.pdf (pdf 91 KB)